Noch ist der stark regulierte Gesundheitsmarkt in Deutschland weitgehend abgeschottet von den entsprechenden Ambitionen der Tech-Konzerne wie Google, Apple, Facebook oder Amazon. Auch die innovativen Ideen vieler e-Health Start-ups fristen noch ein Nischendasein. Und so ist es nicht hilfreich, wenn Vivy, die am 17. September 2018 mit viel Wind eingeführte digitale Gesundheitsakte für Versicherte von GKV und PKV nach ersten Gehversuchen ins Trudeln gerät, weil sie massive Sicherheitslücken aufweist[1]. Natürlich spielt Datenschutz bei Patientendaten eine immens wichtige Rolle, aber Fortschritt lebt auch vom Lernen aus Fehlern. Und der digitale Wettlauf ist voll im Gange und macht früher oder später auch im deutschen Gesundheitssystem bislang erfolgreiche Geschäftsmodelle obsolet.
Lernen von Start-ups, um digitales Denken in das eigene Haus zu holen Fast alle großen Pharmaunternehmen haben inzwischen Maßnahmen ergriffen, um digitale Innovation und Start-up-Denken in das eigene Haus zu holen. Roche hat sich digitale Kompetenz wiederholt eingekauft, wie zum Beispiel im Sommer 2017 als sie das 2010 gegründete Start-up mySugr von ihren Gründern übernommen haben[2]. Bayer hat 2013 sein G4A-Programm ins Leben gerufen, um innovative Apps zu finanzieren (daher der Name Grants for Apps)[3]. Pfizer lernt von Start-ups aus dem Bereich Digital Health bei der offenen Sprechstunde im Healthcare Hub in Berlin[4]. Merck hat anlässlich seines 350-jährigen Bestehens viele Millionen in ein Innovation Center in Darmstadt investiert, um in agiler Weise Kontakt zu externen Innovationsquellen zu finden[5].
Bei allen Ambitionen sind die Erfolge noch überschaubar. Und auch die Ansätze der Unternehmen unterscheiden sich. So gibt es etwa bei Boehringer Ingelheim explizit keine Digitalstrategie, denn Digitalisierung wird als Teil der Geschäftsstrategie gesehen. Während der letzten 2 Jahre wurden innerhalb der Business Units über 50 digitale Initiativen verfolgt. Unterstützt werden die Geschäftsbereiche dabei von rund 40 Fachleuten aus dem internen digitalen Labor „BI X“, darunter User Experience Designer, Data Scientists, Scrum Masters, Front- und Backend Developers sowie ein Ideation & Scouting Team. So sollen Prototypen für neue Produkte und Lösungen entwickelt und pilotiert werden[6].
Aber nicht alle Unternehmen in der Gesundheitswirtschaft können sich den Aufbau eigener digitaler Labors leisten, um die digitale Transformation voranzutreiben. Zwar wissen auch die Verantwortlichen in den oft traditionell geprägten mittleren oder kleinen Gesundheitsunternehmen, dass Disruption durch Digitalisierung ihrem eigenen Geschäftsmodell früher oder später ein Ende bereiten kann, aber oft sind sie unsicher, an welchen Stellen sie ansetzen und welche Prioritäten sie setzen sollten. Da reicht es auch nicht, einen „Online-Verantwortlichen“ zu benennen, der meist im Marketing angesiedelt wird und die Websites weiterentwickeln oder Ärzte mit e-Mailings beglücken soll. Auch wird es nicht reichen, den Außendienst mit Tablets auszurüsten, wenn die Botschaften nach wie vor produkt- und absenderorientiert sind und der Dialog mit Kunden nicht wirklich gesucht wird.
Unterschiedliche Herausforderungen und Ziele der Digitalisierung Die Herausforderung mit der Digitalisierung in Unternehmen der Gesundheitsbranche liegt nur teilweise in rechtlichen Hürden und im Datenschutz. Digitalisierung wird für unterschiedliche strategische Ziele genutzt:
Optimierung von Prozessen
Bessere Kollaboration mit Kunden und Lieferanten
Neue Geschäftsmodelle
Zunächst geht es um Priorisierung der möglichen Themen und Maßnahmen und oft — ganz praktisch — auch um die Auswahl der passenden Werkzeuge und Technologien. Hinzu kommt die immens wichtige Steuerung des Kulturwandels, den der Einsatz digitaler Technologien zwangsläufig erfordert.
Der Einstieg in die Digitalisierung erfordert daher die richtige Kombination von Branchenerfahrung, strategischer Kompetenz und technologischem Verständnis.
Technologieanbieter sind häufig nur daran interessiert, ihre technische Lösung zu verkaufen. Diese können nach Aussagen der Verkäufer beliebig verändert und auf die jeweilige Situation im Unternehmen angepasst werden. Die Realität sieht jedoch häufig anders aus, denn die Komplexität von Zulassung und Erstattung wird meist nicht ausreichend verstanden. Daher sind Technologieanbieter oft nicht der ideale Partner, wenn es um strategische Entscheidungen zur Einführung von digitalen Technologien geht.
Digitaler und kultureller Reifegrad entscheidend Je nach digitalem Reifegrad eines Unternehmens geht es darum:
Klarheit zu gewinnen, in welchen Bereichen des Unternehmens der Einsatz digitaler Lösungen den höchsten Mehrwert für die Kundenzielgruppen erzielen kann
Zu den ausgewählten Use Cases die passenden Technologien auszuwählen, anzupassen, oder neu zu entwickeln
Bei der Implementierung Strukturen und Arbeitsabläufen ggf. über den kompletten Versorgungsprozess bis zum Patienten und zur Erstattung anzupassen
Dabei ist zu berücksichtigen, dass digitale Transformation nur gelingt, wenn die Kultur im Unternehmen für diesen Prozess bereit ist und in agiler Weise auf Veränderungen reagieren kann. Ohne an dieser Stelle näher auf die dafür hilfreichen Prinzipien des Design Thinkings einzugehen, kann das bedeuten, in selbstgesteuerten Teams hierarchie- und organisationsübergreifend zu arbeiten, flexibel auf Kundenwünsche zu reagieren, schnell zu lernen und umzusetzen, aber auch Projekte zu stoppen, wenn sie nicht das gewünschte Resultat erbringen. Agilität steht somit für eine erhöhte Anpassungsfähigkeit des Unternehmens.
ORIGINAL unter: https://www.healthcareshapers.com/digitalisierung-in-healthcare-unternehmen/